Expedition Jüterbog

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Betrachtet man den Fläming auf eine Landkarte, findet man darauf viel Natur, aber keinen einzigen See. Der Fläming gehört nämlich zu den wasserärmsten Regionen Brandenburgs. Ich muss zugeben, dass mich das im Sommer oftmals davon abhielt in den Regio Richtung Jüterbog zu steigen. Dabei ist Brandenburgs "Burgenland" ein wahres Rad-und Skaterparadies mit vielen liebevoll sanierten, historischen Stadtkernen, weiten Feldern und Wäldern. Jüterbog ist auch für ambitionierte Lost-Place-Touristen ein spannender Ort und noch ein Grund mehr für uns, an diesem kalten Märzsonntag die Fahrradtaschen zu packen.

Nur 34 Minuten später kommen wir mit dem Regionalexpress von Berlin-Südkreuz am Bahnhof Jüterbog an. Der Bahnhof liegt etwas abgelegen vom Zentrum, dafür geht es hier direkt auf den Fläming-Skate - einem riesigen, asphaltierten Rundkurs, der für Inliner wie Radler größtes Fahrvergnügen durch eine eiszeitlich geformte Landschaft bedeutet. 


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Jüterbog, auch "Hauptstadt des Flämings" genannt, ist eine der ältesten deutschen Siedlungen im Land Brandenburg und war über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Schauplatz bedeutender historischer Ereignisse. Bis zum Dreißigjährigen Krieg war es eine blühende Kaufmannsstadt. Davon zeugen das Rathaus und die drei Stadttore. Ein weiterer wirtschaftlicher Höhepunkt erfolgte im 19. Jahrhundert als preußisch-deutsche Militärstadt. In der DDR-Zeit war hier die größte Sowjet-Garnison in Deutschland. Nicht nur die Altstadt, auch die Umgebung Jüterbogs ist voller bemerkenswerter Geschichtszeugnisse.
 


Auf unserer Stecke außerhalb des historischen Stadtkerns entlang, finden wir den ersten von sechs Wassertürmen Jüterbogs. Er ist mit 42,62 Metern der Höchste im Landkreis Teltow-Fläming und erinnert an einen mittelalterlichen Wehrturm. Durch ihre Höhe überragen die Wassertürme die Häuser und dominieren, ähnlich wie die Kirchtürme, das Stadtbild. Warum das so ist? Jüterbog wurde im Jahre 1860 Garnisonsstadt und viele Kasernen entstanden. Dafür war eine zentrale Wasserversorgung notwendig. Wasser wurde aber aber auch zum Löschen von Feuern benötigt, die regelmäßig durch die Schießübungen der Artillerie entstanden.  

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Kloster Zinna

Der kleine Ort Kloster Zinna, den wir schon nach 4km erreichen, besteht im Wesentlichen aus dem berühmten Kloster und den Resten einer Webersiedlung, die auf Friedrich II zurückgeht. Das Ortsbild, dieser am Reißbrett entstandenen Kolonie, ist heute noch weitestgehend erhalten. Das Kloster ist vorallem bei Liebhabern edler Tropfen bekannt. Der populäre Kräuterschnaps "Zinnaer Klosterbruder" wird hier wieder nach altem Rezept vor Ort hergestellt. Gegründet wurde das ehemaliger Zisterzienser Kloster um 1170 und die noch heute erhaltenen Gebäude zeugen von einstiger Macht und Einfluss der Mönche.  Wir besuchen das Klostermuseum in der neuen Abtei und studieren die großen gotischen Wandgemälde aus dem 14. Jahrhundert, die die besterhaltenen ihrer Art in Ostdeutschland sind. Besonders gefällt mir das Gemälde der sogenannten Schutzmantel-Madonna, die die starke Marienverehrung der damaligen Zisterzienser zeigt.

Der Zinnaer Klosterbruder

Nachdem nach der Wende die Produktion des beliebten Kräuterschnapses kurzzeitig in eine normale Spirituosenfabrik ausgelagert wurde, kann man die Kräuteressenzherstellung wieder im ehemaligen Siechenhaus erleben. Bei unserem kleinen Rundgang kriechen die aromatischen Kräuteressenzen direkt in unsere Nase, während wir die kupferne Brennanlage und allerlei historische Geräte und Notizen betrachten. Zum Abschluss dürfen wir zweierlei Kräuterschnäpse probieren und freuen uns über das warme Gefühl, den er in unseren Bäuchen hinterlässt. Ich kaufe eine kleine Flasche für meinen Großvater, der ein großer Kräuterschnaps-Liebhaber ist. 


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Weiter Richtung Grüna

Obwohl im Dörfchen Zinna noch allerlei Entdeckungen, wie zb. das Webermuseum, warten, beschließen wir schnell Richtung Grüna weiterzuradeln. Es ist kalt, wir müssen in Bewegung bleiben. Ein frischer Ostwind bläst und trotz der schönen Vorfrühlingsonne ist es ein wenig ungemütlich. Wir fahren über eine alternative Strecke entlang des Forstes Zinna zurück Richtung Jüterbog. Das ehemalige Militärgebiet in dem wir uns befinden, hat unser Interesse geweckt. Wir wollen mehr erfahren über eine Stadt, die fast 130 Jahre mit dem Militär Seite an Seite zusammenleben musste.

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Jüterbogs Militärgeschiche ist lang. Kaiserliche Truppen waren hier ebenso stationiert wie das Militär im Dritten Reich und bis 1994 die Rote Armee.  In der Stadt und im Umland sind noch vielfältige Kasernen, Bunkeranlagen, Truppenübungs- und Schießplätze zu finden. Unweit des Bahnhofs fahren wir minutenlang durch eine Art Geisterstadt. Zerfallene Ruinen sind kaum von bewohnten und sanierten Häusern getrennt.

Der lange Schatten der Sowjetarmee

Ganz in der Nähe von Jüterbog finden wir den kleinen Ort mit dem merkwürdigen Namen „Altes Lager“ mit 1.600 Einwohnern. Kaum vorstellbar, dass in der DDR bis zu 40.000  stationierte sowjetische Soldaten in angrenzenden Kasernen dicht an dicht mit der Dorfgemeinschaft wohnten. Jüterbog war so für Jahrzehnte eine der wichtigsten Militärbasen der UdSSR in Deutschland. Die alten Militärflächen bestechen durch ihre Wildnis und nur wenige  Gebäude sind neu genutzt. Eine Umgestaltung dieses Areals wird wohl noch eine Aufgabe für die nächsten Generationen sein. Glaubt man den Schildern ist vieles toxisch kontaminiert und mit Munition belastet. Dennoch finden wir hier vor Ort Initiatoren, die dem Ort Berücksichtigung schenken. Der gegründete Verein St.Barbara e.V. hat sich der Geschichte angenommen und es sich zum Ziel gemacht, diese zu erhalten. In einer ehemaligen Lagerhalle nahe des Flugplatzes haben die Männer auf 4000 Quadratmetern zahlreiche Exponate zusammen getragen. Obwohl die riesige Fläche des Flugplatzes von Drachenfliegern und von einer Kartbahn genutzt wird, sind wir an diesem Tag völlig allein.  Wir drehen ein paar Runden und betrachten einige Objekte, wie zb. die riesigen Luftschiffhallen, aus der Nähe. 

Abenrunde in Jüterbog

Russisches Flair erwartet uns auch im Dorf- Eiscafé Mischka, nahe der Bahnstation Altes Lager. Wir bestellen uns einen großen Eisbecher mit köstlichem hausgemachten Eis und viel Eierlikör. Igor, der Besitzer des Ladens, ist selbst eng verbunden mit der Geschichte des Ortes. Sein Vater, einst stationierter Offizier, verliebte sich in eine Brandenburgerin und Igor wurde geboren. Nachdem das Verhältnis an die Öffentlichkeit kam, wurde Igors Vater zurück in die Sowjetunion strafversetzt und der Kontakt brach ab. Glücklicherweise konnte die Familie sich Jahre später in der Sowjetunion wiedersehen. Als erwachsener Mann kehrte Igor in seine Heimatstadt Altes Lager zurück und eröffnete 1988 sein Eiscafé an der einzig "offenen Straße" des Ortes. Der russische Name des Cafés halfen sowohl mit der Eröffnungsgenehmigung, als auch bei der Beliebtheit des Cafés unter den russischen Nachbarn. 


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Als wir uns im Nachhinein belesen, erfahren wir, dass die unfreiwillige Nachbarschaft nicht immer unproblematisch war und die Anwesenheit der Soldaten für die Brandenburger zur Belastung - und zur Nervenprobe wurde. Schießlärm aus Panzer- und Kanonenrohren gehörte damals zur ständigen Geräuschkulisse und versetzten die "deutsche Minderheit" rund um Jüterbog in Angst. Noch nervender war der Fluglärm, die ständigen Übungen der Truppenluftabwehr und die Simulation des militärischen Ernstfalls. Auch schwere Unfälle geschahen in naher Umgebung. Beim Zusammenstoß eines Panzers mit einem D-Zug im Forst Zinna, kamen in den 80er Jahren acht Menschen ums Leben. Das massive Ungleichgewicht blieb auch im Alltag nicht ohne Folgen und es kam nicht selten zum Streit um das knappe DDR-Warenangebot. Als im Herbst 1990 feststand, dass die sowjetischen Truppen das wiedervereinte Deutschland verlassen würde, war die Erleichterung in der Bevölkerung groß. 

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Wir haben noch etwas Zeit bis zur Zugabfahrt und machen einen kleinen Abstecher in die Jüterboger Altstadt. Der historische Stadtkern ist geprägt von Gebäuden aus dem Mittelalter, von gewaltigen Kirchen und dem ältesten Rathaus im Land Brandenburg. Mauern, Türme und Tore zeugen noch heute von ihrer Wehrhaftigkeit. Mir fällt aber auch ein interessantes, modernes Gebäude ins Auge: die Schauburg. Mit späterer Recherche erfahre ich, dass das Haus 1936 eröffnet wurde. Im Jahre 1998 spielte hier der letzte Film, danach wurde nur noch das Foyer genutzt. Im Jahr 2007 stürzte dann das Dach des Kinosaales ein, worauf das denkmalgeschützte Gebäude entrümpelt wurde. Heute ist die aufgeräumte Hülle ohne Dach Eigentum der Stadt. Unser Zug hat 30 min Verspätung. In der nicht ungemütlichen Bahnhofshalle mit kleinem Holzofen, bestellen wir uns einen Kaffee und besprechen die vielen Eindrücke. Das Erlebte hing noch lange in unseren Köpfen...

 

TOURENLINK

Illustration Eiscafé Mischka: Ingeborg Meyer Rey (Mischka, der Bär / Kinderbuchverlag der DDR)