Kulturtour am Rand

 
 

Diese Reise entstand in Zusammenarbeit mit der TMB Tourismus-Marketing Brandenburg

Das Oderbruch: eine Landschaft am Rand. Eine Landschaft, die uns als Naturfreunde und Kulturliebhaber immer wieder magisch anzieht. Hier verschmelzen Geschichten von Menschen, Traditionen und historischen Ereignissen mit stillen, meditativen Naturmomenten. Begleitet uns auf zwei abwechslungsreichen Tages-Etappen ins Land hinter den Oder-Deichen. Auf abgelegenen Wegen treffen wir hier auf ganz besondere Museen, winzige Trafohäuschen-Galerien und den kalten Atem der Geschichte. Wir sind sicher: Auch ihr werdet neue, spannende Ausflugsziele finden. Wir wünschen viel Spaß dabei!


Tradition in Körben

Eine knappe Stunde benötigen wir vom Berliner Zentrum bis zum Bahnhof Seelow-Gusow im Landkreis Märkisch-Oderland. Der Weg zum Korbmachermuseum führt uns über ruhige, kaum befahrene Landstraßen. Schon von weitem fällt die ehemalige Schule ins Auge – eine wahre Augenweide, die heute das Museum beherbergt. Hier dreht sich alles um eines der ältesten Gewerke der Menschheit: die Korbmacherkunst. Es ist das einzige Museum dieser Art in Brandenburg. Wusstet ihr, dass das Flechten von Behältern bereits älter ist als die Erfindung des Faustkeils? Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass für die Herstellung weder Feuer noch Werkzeuge nötig waren. Die Hände reichten aus, und die verwendeten Materialien wuchsen in der Natur nach. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war die Bedeutung dieses Handwerks enorm: Ob Fischreusen, Ernte- oder Tragekörbe fürs Militär – auf die Korbmacher konnte man nirgendwo verzichten.

In Buschdorf hat die Korbmacherin Thea Müller (1961–2019) nicht nur ihr Handwerk perfektioniert, sondern auch eine beeindruckende Sammlung von 2.000 Exponaten aus aller Welt zusammengetragen. Heute führt uns Frau Pehle durch diese einzigartige Ausstellung und zeigt uns ihre Lieblingsstücke. Von kunstvollen Schalen über Kinderwagen und Möbel bis hin zu Spielzeug – jedes Stück ist ein Unikat und frei von industrieller Herstellung. Auch heute noch wird jedes Produkt ausschließlich von Hand gefertigt. Frau Pehle erklärt uns geduldig, wie die Weiden geschnitten, geschält und zu Körben geflochten werden. Dabei gibt sie auch Einblicke in die Bedeutung der Korbflechterei für die Region: „Früher gab es keine Plastikschüsseln“, erzählt sie mit einem Lächeln. „Da ist jeder mit einem Wäschekorb zur Leine gegangen.“

Nach unserem Rundgang lockt uns ein verführerischer Duft zur alten Backscheune. Hier sorgt ein traditioneller Holzofen jeden Mittwoch zwischen 11 und 15 Uhr für frisches Brot und köstliche Kuchen. Während der Ofen brennt, wird die Backscheune zum Treffpunkt – ein Ort, an dem Dorfbewohner und Besucher zusammenkommen, um sich bei einem Stück frisch gebackenen Brots auszutauschen und das Gemeinschaftsgefühl zu genießen.

Die Kinder von Golzow

Unser nächstes Ziel ist Golzow. Der Duft des Dorfbackofens hat auch uns hungrig gemacht, also legen wir an einem idyllischen Rastplatz am Europaradweg eine Frühstückspause ein. Eine gute Entscheidung, denn der Besuch im Filmmuseum Golzow wird länger dauern als gedacht. Schon der Eintritt stimmt uns perfekt auf das ein, was uns in den kommenden Stunden erwartet. Die handgemachten Eintrittskarten aus Original-Filmstreifen der berühmten Langzeitdokumentation sind vermutlich die schönsten Eintrittskarten die wir je gesehen haben. Auch die Eingangshalle zeigt den Stolz der Museumsmitarbeiter auf ihr weltbekanntes Projekt. Doch worum geht es eigentlich bei den „Kindern von Golzow“? Kurz gefasst: Im Jahr 1961 gab eine Einschulung in Golzow den Startschuss für ein filmisches Experiment, das bis 2005 andauern sollte. Über 45 Jahre begleiteten Kameras die Hauptprotagonisten durch ihr Leben: vom Aufwachsen in der DDR über Schule, Studium und Familiengründung bis hin zu den Herausforderungen nach dem Mauerfall. Am Ende entstanden 42,5 Stunden Filmmaterial – ein Meilenstein der Filmgeschichte.

Unser persönliches Highlight ist der nahezu originalgetreue Schneideraum. Zwischen Filmspulen, DEFA-Plakaten und funktionierenden Schneidetischen erfahren wir, wie mühsam die Sichtungs- und Schnittarbeit früher war. Frau Garby erklärt uns die komplexe Technik, bei der Bild und Ton auf separaten Bändern liefen und millimetergenau aufeinander abgestimmt werden mussten. Die glänzenden Filmrollen in den Regalen wirken wie Schätze, und wir staunen, dass noch immer unveröffentlichtes Material darauf wartet, entdeckt zu werden. Im kleinen Kinoraum mit originalen Kinositzen sehen wir Ausschnitte der Dokumentation. Die Bilder lassen uns in die Vergangenheit eintauchen, und ich werde ein wenig nostalgisch, als ich an meine eigene Schulzeit denke. Die alten Schultafeln und das kratzende Geräusch der Kreide sind nur einige der Details, die Erinnerungen wecken.

Die Langzeitdokumentation ist zum einen Zeugnis der DDR-Geschichte, aber auch ein Spiegel der Umbrüche nach der Wende. Sie zeigt, wie unterschiedlich Menschen ihren Weg gestalten, wenn sich die politischen und sozialen Rahmenbedingungen radikal ändern. Während wir auf liebevoll gestalteten Wandzeitungen in die Lebensgeschichten der Protagonisten eintauchen, wird klar: Die interessantesten Geschichten schreibt immer noch das Leben selbst. Freundschaften, Verluste und Neuanfänge – die „Kinder von Golzow“ berühren universelle Themen, die auch heute nichts von ihrer Relevanz verloren haben. Am Ende verlassen wir sehr berührt das Museum. Ein echter Geheimtipp!

Zwischen Sturm und Fischgenuss

Auf dem Weg zur Fischerei Schneider fühlen wir uns plötzlich wie in einem Katastrophenfilm: Hinter uns türmt sich eine pechschwarze Wolke auf, die mit ein bisschen Fantasie direkt aus Twister hätte stammen können. Nach einem Platzregen, den wir unter dem Plastikdach eines verlassenen Geländes überstehen, erreichen wir schließlich die Fischerei. Schnell landen geräucherter Fisch samt Weltklasse-Krautsalat auf dem Teller unseres gestrandeten Bootsrestaurants. Bereits in sechster Generation bietet der Fischereihof hier frischen Fisch an. Aufgrund der verheerenden Umweltkatastrophe 2022 stammt dieser heute zwar nicht aus der Oder, unglaublich lecker ist unsere Radpause trotzdem.

Eine Perle namens Reitwein

Hinter Küstrin verschluckt uns die weite Flusslandschaft der Oder. Das Gewitter bleibt jedoch ein treuer Begleiter und jagt uns mit dunklen Wolken Richtung Reitwein. Ob wir es trocken bis zum Ziel schaffen? Ein paar Locals verraten uns später schmunzelnd, dass es hier angeblich nie regnet. Reitwein, auch liebevoll „Perle des Oderbruchs“ genannt, ist unser Etappenziel für heute. Malerisch liegt das kleine Dorf zwischen der Oder und dem bewaldeten Höhenzug Reitweiner Sporn. Unser erster Spaziergang führt uns hinauf zur „Schönen Aussicht“. Von hier schweift unser Blick über die weitläufige Flusslandschaft, bevor wir zur kleinsten Galerie der Welt aufbrechen. Sie befindet sich in einem ehemaligen Trafohäuschen mitten im Ort. Zum krönenden Tages-Abschluss umrahmt ein Sonnenuntergang die alte Kirchenruine, die sich oberhalb unserer Unterkunft befindet.

Am Abend tauchen wir bei einem herzlichen Gespräch im Gasthof „Am Reitweiner Sporn“ noch tiefer in das Dorfleben ein. Während uns ein frisch zubereitetes und unglaublich leckeres Abendessen serviert wird, erleben wirbei einem Schnack mit dem Wirt, was diesen Ort so besonders macht und stellen fest, wie sehr es die Menschen sind, die unseren Reisen ihren ganz eigenen Charme geben. Fontane formulierte es einst recht treffend: „Das Beste aber werden die Menschen sein.“

Auch unsere Unterkunft, die Gräfliche Villa, passt perfekt zum Charme Reitweins. Das liebevoll restaurierte Anwesen aus dem 19. Jahrhundert blickt auf eine bewegende Geschichte zurück: Erbaut 1880 von Rudolf Graf Finck von Finckenstein, wurde die Villa nach Kriegsende enteignet und verfiel zunehmend. Mit der Rückkehr von Günther-Alexander von Wittich, einem Nachfahren der ursprünglichen Besitzer, begann nach der Wiedervereinigung eine beeindruckende Restaurierung und beherbergt heute eine Pension mit individuell eingerichteten Zimmern und Ferienwohnungen.

Unterwegs im Hinterland

Auf der zweiten Etappe unserer Oderbruchtour machen wir uns auf den Weg von Reitwein zurück nach Seelow. Die Route führt uns zunächst entlang des Reitweiner Sporns zu den berühmten Mallnower Oderhängen. Dieses 190 Hektar große Schutzgebiet zieht jedes Jahr im April Tausende Besucher an, wenn die Adonisröschenblüte die Landschaft in ein leuchtend goldgelbes Meer verwandelt. Auch jetzt erstrahlt die Natur in Gold – diesmal jedoch durch die satt blühenden Rapsfelder, die die Region prägen. An diesem zweiten Tag steht die Natur im Mittelpunkt. Die durch die Eiszeit geformte Landschaft geizt nicht mit ihrer Vielfalt, begleitet werden wir von dutzenden Rehen, Füchsen, Fasanen und Feldhasen. Immer wieder halten wir an, um das uns unbekannteres Vogelgezwitscher mit Hilfe einer App zu bestimmen. Es ist erstaunlich, wie lebendig diese Region ist, wenn man sich die Zeit nimmt, genau hinzuhören und hinzusehen.

Rund um Seelow

Rund um Seelow türmen sich plötzlich die Sehenswürdigkeiten. Eine längere Pause legen wir im Kunstspeicher Friedersdorf ein, einem Ort, der nicht nur kulinarisch überzeugt, sondern auch mit seinen vielseitigen Ausstellungen punktet. Besonders gefallen hat uns die aktuelle Sonderausstellung auf der fünften Etage, die der Ingenieurskunst vergangener Generationen gewidmet ist. Wir schlendern durch die Ausstellung „Radios aus Zeiten von Oma und Opa“. Hier erleben wir die Entwicklung des Radiohörens von den Anfängen bis 1975 anhand originaler Rundfunkempfänger. Die Radios sind mehr als technische Relikte – sie sind eine Zeitreise in vergangene Wohnzimmer. Ach, das Radio! Fast so bahnbrechend wie das Internet heutzutage. Mein erster Radio-Kassettenrekorder war ein Gamechanger für mich. Selbstgemachte Mixtapes stapelten sich in meinem Kinderzimmer und Radiosender wurden akribisch belauscht – immer in der Hoffnung, dass die Moderatoren nicht über den langersehnten Aufnahme-Titel quatschten. Ein Gerät, das so viel Emotionen und Erinnerungen auf Knopfdruck lieferte – was für eine schöne Zeit.

Vom Mustergut zum Kulturdenkmal

Auch das Schweizerhaus in Seelow ist eine wahre Entdeckung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es ein beliebtes Ausflugslokal mit Eiskeller, Biergarten und Konzertbühne – ein Ort, der für Geselligkeit und Kultur stand. Der Berliner Bankier, Sozialdemokrat und Kunstmäzen Hugo Simon erkannte das Potenzial dieses besonderen Ortes und kaufte sämtliche Gebäude. Unter seiner Führung verwandelte sich das Schweizerhaus in ein landwirtschaftliches Mustergut, das bis nach Berlin Beachtung fand. Simon investierte viel Zeit und Energie in die Weiterentwicklung des Obstanbaus und die Gestaltung einer prachtvollen Parkanlage. Sein Gut wurde zu einem Vorzeigeprojekt, das zahlreiche Besucher anzog. Doch 1933 änderte sich alles: Hugo Simon wurde gezwungen, vor den Nationalsozialisten ins Exil zu fliehen. Sein Mustergut wurde enteignet, und Simon starb in Brasilien, ohne jemals in seine Heimat zurückkehren zu können. Nach Jahrzehnten des Verfalls – das Gelände verwilderte über 20 Jahre – gelang es einem engagierten Heimatverein, das Schweizerhaus wieder zugänglich zu machen und mit neuem Leben zu füllen. Heute erstrahlt das prächtige Haupthaus in restaurierter Schönheit und dient als Veranstaltungsort, unter anderem für das legendäre „Sammeltassencafé“. Auch der Park mit seinen beeindruckenden Achsen und Gebäuden, darunter ein Nachbau von Goethes Weimarhaus, ist einen Besuch wert. Ein Blick auf die Bilder von 2010, die auf der informativen Website des Vereins zu sehen sind, verdeutlicht, welche immense Arbeit hinter der Wiederbelebung dieses Ortes steckt. Dank unermüdlicher Anstrengungen ist das Schweizerhaus heute wieder ein lebendiges Stück Geschichte, das den Geist von Hugo Simons Vision bewahrt.

Rund um die Seelower Höhen

Unser letzter Anlaufpunkt ist die Gedenkstätte Seelöwer Höhen. Wer Seelow besucht, sollte diesen beeindruckenden Ort keinesfalls auslassen. Die Gedenkstätte ist nicht nur ein Ort der Erinnerung, sondern auch eine Mahnung. Mitte April 1945 lag Seelow im Zentrum einer der größten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Zehntausende Menschen verloren hier ihr Leben, und 70 % der Städte und Dörfer wurden zerstört. Bis heute sind viele Kriegstote unentdeckt oder unbestattet, und auch schwere Kriegsmunition belastet weiterhin die Böden der Region. Leider schaffen wir es nicht mehr ins Museum, das uns vor allem mit den persönlichen Schicksalen, Briefen und Fotos der Menschen interessiert hätte. Wie gut, dass wir noch spät über die denkmalgeschützte Außenanlage gehen können. Ähnlich wie der junge, kriegsmüde Soldat auf dem Denkmalsockel blicken wir nachdenklich Richtung Osten. Die mit Kriegsnarben übersäte Landschaft erinnert uns daran, was es zu bewahren und zu schützen gilt. Auch der Krieg in der Ukraine und die Beziehung zu unseren russischen Befreiern wird später auf unserer Rückreise für Gesprächsstoff sorgen.

Zum Bahnhof nach Seelow-Gusow sind es jetzt nur noch wenige Kilometer. Nach zwei Tagen endet hier unser Ausflug, wo er begann. Trotz des launischen Mai-Wetters waren es schöne Tage, die uns die große Vielfalt des Oderbruchs wieder ein Stück nähergebracht hat. Von der bewegenden Geschichte der „Kinder von Golzow“ über die handwerkliche Kunst im Korbmachermuseum bis hin zu malerischen Landschaften und kulturellen Highlights wie dem Schweizerhaus.

Es war eine großartige Entscheidung, sich mit dem Rad auf unbekannteres Terrain zu wagen und Ziele anzusteuern, die selten in den Top 10 der Brandenburger Ausflugsziele landen. Für alle, die noch mehr Inspiration suchen, lege ich das wunderbare Buch „Das Oderbruch – Liebe auf den zweiten Blick“ von Carmen Winter ans Herz. Eine tolle Lektüre, die viele sehenswerte Orte der Region näher vorstellt.

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