Ein Picknick unterm Birnenbaum
Hallo, Fontane…
„Und es kam die goldene Herbsteszeit und die Birnen leuchteten weit und breit…“
Sanft wärmend strahlt die goldene Oktobersonne an diesem Sonntag aufs Havelland. Auf den weiten Feldern tummeln sich die Kraniche, die Farben leuchten um die Wette. Wir gleiten auf unseren Rädern sanft über den asphaltierten Radweg Richtung Ribbeck, störende Ampeln und Autos sind fern. Zu Fontanes Zeiten wären wir nur mit einem Mountainbike in den sagenumwobenen Ort gekommen. Denn so schöne Fahrradwege wie heute gibt es hier erst seit einigen Jahren. Eins fühlt sich aber sicher genauso an wie in alten Zeiten: der wunderschöne Herbst.
Los geht die Tour in der Funkstadt Nauen, der wir an diesem Tag leider keinen Besuch abstatten können. Rund 9 km schönster Havellandradweg liegen vor uns. Die bunt zusammengewürfelte, naturverliebte Berliner Radgang versteht sich blendend, fast alle haben zu meiner großen Begeisterung eine Kamera dabei. Gleich zu Beginn der Tour zwingt ein großes Maisfeld zum ersten Stop, sowie ein defektes Pedal. Zum Glück gibt es Ulrikes Freund, der seiner Freundin noch vor Abfahrt das Reperaturkit zugesteckt hat und wir das Pedal in Teamarbeit reparieren können. Das schweißt zusammen.
Die goldene Herbstlandschaft scheint einem Herbstgemälde entsprungen. Es fühlt sich unter der Sonne beinahe an wie ein verschlafener Spätsommertag. Indian Summer pur. Die Route ist perfekt für visuelle Genießer wie uns. Hinter jeder Kurve lauert ein Fotomotiv und für den kleinen Streckenabschnitt mit seinen Lindenalleen, benötigen wir beinahe den ganzen Vormittag. Mit jeder Minute wächst die Entspannung, Berlin ist weit weg.
Es dauert nicht lang und wir haben unser Tourenziel, das berühmte Ribbeck, im Blick. Der 30 Meter hohe Schornstein der Alten Brennerei mit dem großen Storchennest sowie die Spitze des Kirchturms sind schon von weitem zu erkennen. Wir schieben unsere Räder am kleinen Dorfanger vor die Alte Schule. Der Startpunkt unserer Ribbeck-Tour passt perfekt, denn gehört nicht Fontanes Gedicht schon seit Generationen zum Schulstoff?
ALTE SCHULE
In der 1841 erbauten Schule ist heute ein Café, in dem das alte Klassenzimmer zu sehen ist.
Im alten Klassenzimmer in Ribbeck scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Der Raum ist mit all dem ausgestattet, was eine Dorfschule früher ausmachte. Kleine Holzbänke mit Schiefertafeln stehen ordentlich aufgereiht zwischen Ausstellungsvitrinen mit Fibeln, Ranzen und alten Tafeln. Sofort wird klar: hier werden mit viel Engagement Erinnerungen bewahrt. Der Raum wirkt so authentisch, dass wir den Eindruck haben, die Kinder seien nur kurz zur Pause gegangen. Von den Wänden blicken präparierte Wildtiere auf uns herunter, während unsere Blick auf den alten Klassenfotos verweilen. Gespannt hören wir Geschichten von damals, wie z.B. die von jungen Mädchen, die es unmöglich fanden mit den Jungen ein Klassenzimmer zu teilen. Herr Ribbeck selbst baute die Schule, die noch bis zum Jahre 1968 bestand. Danach gab es hier einen Konsum und auch Familien nutzen das nahe der Kirche gelegene Gebäude als Wohnhaus. Heute bekommt man hier, im ehemaligen Wohnzimmer des Lehrers, auf Wunsch Kaffee und Kuchen. Die originelle Speisekarte gibt in Form eines Schulheftes.
picknick unter birnen
Beim Ribbäkker wird man mit dem Besten der Birne liebevoll versorgt…
Direkt neben der Alten Schule ist in der ehemaligen Pfarrscheune der Ribäkker zu finden. Man könnte aber auch einfach seiner Nase folgen. Aus dem historischen Holzofen duftet es nach frisch gebackenem Brot. Björn Dreidax betreibt hier mit viel kreativer Energie eine eigene Gastronomie. Seine Flammkuchen genießen einen besonders guten Ruf. Der Teig ist selbst gemacht und wird für jeden Kunden frisch ausgerollt und belegt. Der Versuchung direkt einen großen “Ribbäkker”, (Flammkuchen mit Birne, Kürbis & geräuchertem Schinken) zu bestellen, müssen wir allerdings widerstehen. Etwas anderes steht auf unserer Mittagskarte.
Drei wunderschöne Picknickkörbe voller Birnen-Leckereien wurden bereits für uns vom Ribbäcker gepackt. Wir können es kaum erwarten, schnappen uns die Körbe und schlendern Richtung Birnengarten. Fest steht: in diesem Dorf muss niemand mehr eine Birne mit uns Grab nehmen. Überall sind wunderschöne, flüsternde Birnbäume zu finden.
Im Birnengarten, der 2006 im Rahmen der Landesgartenschau angelegt wurde, wachsen heute 23 Birnenbäume mit 14 unterschiedlichen Sorten. Hier kann der Besucher Pflücken, Naschen und Lernen - an jedem Baum gibt es hübsche Holztafeln mit passender Erläuterung der Sorten. Auch weniger bekannten wie die die Gute Luise, die Oberösterreichische Weinbirne, die Schweizer Wasserbirne, Gellerts Butterbirne und die Pastorenbirne wurden hier gepflanzt. Trotz des heißen Sommers und des wenigen Regens tragen die Bäume viele Früchte. Das Gras zwischen den Bäumen steht hoch und nur die Wege sind gemäht. So wird vielen kleinen Insekten ein Lebensraum gegeben. Der Baum der Pastorenbirne wird von uns spontan zum schönsten Picknickplatz gewählt. Wir leeren unseren Platz von den bereits heruntergefallenen Birnen samt stacheligen Bewohnern und machen es uns im Schatten des Baumes gemütlich.
Es dauert eine Weile bis wir alle Leckereien ausgepackt und bestaunt haben, so prall gefüllt sind die Körbe. Neben selbstgebackenem Birnen-Brot finden wir allerlei regionale und selbstgemachte Leckereien darin: Kuchen im Glas, Chutneys, Aufstriche, Käse, Trauben, gekochte Eier, Landjäger, Birnensaft und erfrischendes “Havelwasser” - einem kohlensäurehaltigen Mischgetränk aus Birnensaft und Weißwein. Es schmeckt köstlich und wir genießen diese kleine Auszeit mit allen Sinnen.
Zu verdanken haben alle Besucher dieses kleine Paradies im Havelland übrigens dem Engagement des Geschäftsmannes Rafael Kugel. Er pachtete den vergessenen Garten hinter der alten Brauerei und erweckte ihn zu neuem Leben. Mit einem großen Gemeinschaftspicknick am “Tag der Birne” wird jedes Jahr, inspiriert durch Fontanes Gedicht, an Großzügigkeit, Mitmenschlichkeit und Toleranz appelliert. Plant also unbedingt einen Besuch ein. Nähere Infos dazu findet Ihr hier.
THEATER DER FRISCHE
»Junge, wiste ’ne Beer?« Ein ganz besonderes Kulturprogramm mit Jan van Damals und Friedemann van Euter.
Wir haben Lust noch mehr über Ribbeck, das Havelland und den berühmten Birnenbaum zu erfahren. Zum Glück können uns Jan van Damals und Friedemann van Euter alias Gernot Frischling und Reimund Groß vom Theater der Frische weiterhelfen. Wir treffen die beiden direkt am berühmten Birnenbaum neben der Ribbecker Dorfkirche. In eine wunderbar humorvollen Führung quer durchs Dorf erfahren wir, u.a., dass der Stumpf des Originalbaums in der Kirche samt Gruft zu bewundern ist. Hier ist auch der legendäre Hans Georg von Ribbeck beigesetzt - Fontanes große Inspiration gewissermaßen. Der “flüsternde” Birnenbaum fiel 1911 einem Sturm zum Opfer und wurde von einer Ribbeckerin gewissermaßen gerettet.
Doch über das kleine Ribbeck gibt es noch mehr wundersame Geschichten zu erfahren: u.a. von einem Pakt mit dem Teufel, beschwippsten Störchen im Dorf, von Hilde und dem wilden Attila und natürlich vom Ursprung des Namens Ribbeck. Jan und Friedemann rauschen durch die Geschichte, mit Liedern auf den Lippen und dem Schalk im Nacken. Am Ende der Tour sitzen wir in ihrem Theater, einem hübschen roten Ziegelbau am Dorfanger und bekommen leckeren Birnenschnaps serviert. Prädikat: wertvoll - Hier gibts einen kleinen Einblick!
der absolute Birner
Birnenkult pur! Auf ein Stück Torte bei den Ribbecker Waschweibern…
Nach der Vorstellung hüpfen wir quer über den Dorfanger zum Alten Waschhaus Ribbeck. Hier bei Marina Wesche dreht sich selbstredend alles rund ums Waschen sowie um das berühmte Obst. Die Birnentorten der gelernten Dekorateurin und Kunsthandwerkerin sind absolut legendär. Die vielen Besucher bringen das kleine Waschhaus vor allem am Wochenende fast zum Platzen. Glücklicherweise haben wir reserviert.
Der Hofladen gleicht einer Puppenstube. Wir können kaum glauben, dass die herrlichen Birnentorten und der leckere Birnenkaffee (Schwarzer Kaffee mit Schlagsahne und Birnensirup) in der kleinen Küche des Waschhauses entstehen. Zwischen Wäscheleinen mit handgewebten, bestickten Deckchen, Waschzubern, Bügeleisen und allerlei historischer Deko kann man hier Birnensaft, Birnenschnaps, Glühbirnen, Birnenseife, Postkarten mit Birnen oder pure Birnen kaufen. Ohne die berühmten Früchtchen geht in Ribbeck wirklich nichts!
Wir nehmen an einem großen Holztisch mit Spitzendeckchen Platz und bestellen einige Torten. Frau Wesche hilft uns geduldig bei der Auswahl. Aus dem Hofladen hört man Musik der 20er Jahre, von den Nachbartischen hört man es kichern. Kein Wunder, die Waschfrauen haben einen herrlichen Brandenburger Humor und sind um keine Antwort verlegen.
Kurze Zeit später erscheint Frau Wesche noch einmal persönlich an unserem Tisch. Sie hat ein Buch in der Hand, geschrieben aus eigener Feder. Stolz erzählt sie uns von ihrer Geschichte “Greta und die Birnentiere.” Greta ist nicht etwa ein kleines Mädchen…Greta ist Frau Wesches Katze, die in ihrem eigenen kleinen Haus mit Balkon am Alten Waschhaus lebt. Wie uns Frau Wesche berichtet, hat Greta im Gegensatz zu anderen Katzen keine Flöhe sondern Birnentiere. Und diese Entdeckung beschert Max, einem kleinen Jungen aus dem Dorf, ein “birntastisches” Abenteuer. Wir lauschen einem kleinen Auszug, während wir die Torten (u.a. Birne-Schoko, Birne-Heidelbeer, Birne-Sanddorn, Birne-Eierlikör) untereinander teilen und bewerten. Klarer Sieger an diesem Nachmittag: Birne-Zitrone! Frau Wesche lacht und bedankt sich bei uns für den Besuch. Wir streicheln Greta nochmal übers Fell und machen uns auf den Weg zurück zum Ribbäkker, dort wollen wir noch einige Flaschen “Havelwasser” mitnehmen.
Wir könnten noch ewig in Ribbeck verweilen, vieles haben wir noch nicht gesehen wie z.B. die wunderschöne alte Brennerei, das aufwendig sanierte Schloss samt Schlossgarten und Museum, den Barfußpfad sowie den nahe gelegenen Kinderbauernhof Marienhof. Wir alle beschließen bald wiederzukommen. Die letzten Minuten verbringen wir im noch einmal im wilden Birnengarten, der in goldenes Abendlicht getaucht ist. Während wir verträumt in die Sonne blinzeln und ein paar heruntergefallene Birnen einpacken, liest uns Ulrike noch einmal Fontanes Gedicht vor. Einen passenderen Abschluss für einen solchen Tag gibt es wohl nicht. Wir schwingen uns auf unsere Drahtesel und fahren in den Sonnenuntergang Richtung Paulinenaue, wo uns der Regionalzug wieder in die Großstadt bringt. Wir alle haben den selben Gedanken: könnte ein Wochenende im Herbst schöner sein?
Wir wurden vom Tourismusverband Havelland zum Picknick, der Führung durchs Klassenzimmer und der szenischen Führung eingelanden.
Ein ganz großes Dankeschön an alle Mitwirkenden!
Das Krönchen auf diesem wunderbaren Tag war die großartige Radgruppe. Ihr habt diesen Tag mit so viel Witz, Herzlichkeit und Spaß gefüllt und dabei ganz fantastische Fotos gemacht. So viel fotografisches Interesse gab es bisher selten und ich bin ganz stolz Eure Bilder unter diesem Beitrag zeigen zu dürfen. In 2019 gibts hoffentlich ein Wiedersehen!