Im Grenzland

Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen.
— George Santayana

[enthält Werbung] Ich bin in der DDR geboren und war 8 Jahre alt als die Mauer fiel. Damals war es für mich natürlich noch nicht begreifbar, dass die DDR kein freiheitlicher Staat war, wie der in dem wir heute leben. Oberflächlich gesehen, habe ich nur positive Erinnerungen an dieses Land. Meine Kindheit war wunderbar und der Sozialismus mir ziemlich egal. Als man mich politisch formen wollte und mir ein blaues Pioniertuch umband, da bröckelte bereits die Mauer. Die Grenze mit all ihrer Unmenschlichkeit habe ich erst richtig kennengelernt, da war sie schon längst Geschichte. Die Zeit verflog und im Jahre 2019 wurde bereits zum 30. Male der Mauerfall und das Ende der innerdeutschen Teilung gefeiert. Doch auch ein weiteres Ereignis jährte sich zum 30. Mal. Ein Ereignis, das bei vielen Menschen etwas unbekannter ist: die Geburtsstunde des Grünen Bandes. 1989 forderte der BUND einstimmig, den gesamten Grenzstreifen, der sich mittlerweile zu einer richtigen Arche Noah für bedrohte Arten entwickelt hatte, unter Naturschutz zu stellen und zu erhalten.

Über die Mauer und die Teilung Deutschlands hatte ich bis dato viel gelernt und auch erlebt, aber das Grüne Band schimmerte bislang noch im Verborgenen. Ich weiß noch genau, wann ich das erste Mal genauer hinsah. Während ich im Verlag über neuen Texten brütete, stieß ich auf die Passage einer Gastgeberin, die ihre Pension in der Altmark mit folgenden Worten beschrieb: “Unsere Herberge im Künstlerdorf Dahrendorf liegt an der ehem. deutsch-deutschen Grenze, jetzt Grünes Band Elbe-Altmark-Wendland…” Grünes Band? Meine Neugier war geweckt und kurze Zeit später im Jubiläumsjahr 2019 plante ich eine 3-tägige Radreise ins Vierländereck um dieses Friedensprojekt näher kennenzulernen.

Aber was ist denn nun dieses Grüne Band genau? Das Grüne Band bezeichnet das, was einmal die Grenze samt ihrem sogenannten Schutzstreifen war. Dieses Band ist heute eine lebendige Erinnerungslandschaft und ein Denkmal Deutsch-Deutscher Geschichte, dessen Kernbereich zwischen dem ehemaligen Kolonnenweg und der Staatsgrenze liegt. Durch die jahrzehntelange Abgeschiedenheit, hat sich hier ein Rückzugsraum für viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten und somit eine wahre Schatzkammer der Natur entwickelt. Viele Relikte entlang der Grenze, machen die jahrelange Teilung Deutschlands für Besucher noch immer eindrucksvoll erfahrbar. 

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Geschichte im Fluss

Es ist Ende Mai. Wir starten unsere Tour im westlichsten Zipfel Brandenburgs, am Rand der Nähmaschinenstadt Wittenberge. Eine Navigation benötigen wir vorerst nicht, denn der Deich gibt uns den Weg vor. Die Flusslandschaft der Elbe ist eine der Landschaften des Grünen Bandes. Fast 95 Kilometer erstreckte sich die Grenze entlang der Elbe. Die lange Abgeschiedenheit war für den Fluss ein Glücksfall. Ohne die Teilung wäre die Elbe heute möglicherweise genauso kanalisiert wie der Rhein. Nun fließt sie gemächlich dahin und windet sich in weiten Bögen durch die flache Landschaft. Immer wieder durchziehen ihre Seitenarme Wiesen und Auenland, wo Störche auf Nahrungssuche sind und Schafherden grasen. Während wir durch dieses Idyll strampeln, vergessen wir fast, dass hier einmal mit Wachtürmen und Grenzzäunen den eigenen Bürgern mit aller Härte der Weg nach Westen versperrt wurde. Hier in der Prignitz verloren 14 Menschen bei Fluchtversuchen ihr Leben.

Da wir nicht in den kleinen Dörfer entlang der Strecke pausieren, haben wir schnell Lenzen erreicht. Ein ehemaliger DDR-Wachturm am Flussufer, der den DDR-Grenztruppen als Beobachtungspunkt diente, erinnert an die jüngere Vergangenheit. Das das Elbufer mit Zäunen, Sperrgräben und Minen gesichert war, erzählen uns einige Informationstafeln im Wachturm. Von oben ist der Ausblick heute im wahrsten Sinne grenzenlos, denn man kann rundum, sowohl bis nach Lenzen, als auch über die weite Elblandschaft schauen. Wir entdecken eine kleine Fähre , mit der man heute innerhalb weniger Minuten ins niedersächsische Wendland übersetzen könnte. Die Geschichte der Fährverbindung reicht bis ins 17.Jahrhundert zurück. 1945 beendeten die Sowjets gewaltsam den Betrieb und der Forltlauf der Geschichte verhinderte die Wiederaufnahme. Nach dem Mauerfall kaufte der Schnackenburger und ehemalige Binnenschiffer Klaus Reinecke in Holland eine alte Fähre und verband die beiden lange getrennten Ufer wieder miteinander. Die Erlebnisse, die er in den ersten Monaten mit wiedervereinten Menschen erlebt hat, dürften wohl einmalig gewesen sein. Gerne würden wir auch mal mit Ilka übersetzen, doch für heute verbleiben noch wir auf östlichen Seite der Elbe.

Zu Gast bei Frîa und Aella

Nach 3 weiteren Kilometern erreichen wir das alte Marschhufendorf Mödlich. Ein Schild am Radweg preist den besten Cappuccino der Lenzerwische an. Wer würde jetzt nicht halten? Das Gartenlokal „Elbeglück“ und die dazugehörige Pension liegen direkt am Elbdeich. Die wunderschönen Backsteingebäude sind umrahmt von alten Bäumen, dichten Holundersträuchern und wilden Rosen. Was für ein Glück, das wir heute über Nacht bleiben dürfen und Gastgeberin Frîa uns zwei Ferienwohnungen reserviert hat. Sofort fühlen wir uns im zauberhaften Gartenlokal mit Hängematten und Baumhaus zuhause. Wir freuen uns riesig auf ein Abendessen im Freien und studieren die handgeschriebene Tageskarte: Hausgemachte Küche wie wir es lieben – ehrlich und regional. Nach diesem gelungenen Tourenaufakt bestellen wir uns spontan den Nachtisch zuerst: Schokoladentorte und „Obstgedöns“ mit Vanilleeis. Danach füllen Frîas Leckereien wie gegrillte Bratwurst vom Wildschwein mit hausgemachtem Kartoffelsalat und fruchtige Tomatensuppe unsere knurrenden Mägen. Haushündin Aella weicht uns nicht mehr von der Seite. Vielleicht hat sie es auch auf die Bratwurst abgesehen.

Nach dem Abendessen gibt uns Frîa noch eine ganz besondere Führung durch die Kirche in Mödlich, die in sich in direkter Nachbarschaft zum Gartenlokal befindet und zu der sie einen Schlüssel hat. Die Kirche ist ein Backsteinbau aus dem 15. Jahrhundert mit einem für die Prignitz typisch hölzernen Turm aus dem Jahre 1659. Stolz zeigt uns Frîa die Schmuckstücke der sanierten Kirche: ein Altaraufsatz mit Alabasterrelief, ein altes Taufbecken von 1602 und die jahrhundertealten kunstvoll verzierten Särge des Amtmanns Admiral Gijsels van Lier (1593 bis 1676) und seiner Tochter Clara von Merretich. Den Abend lassen wir im stimmungsvoll beleuchteten Garten ausklingen. Ein wohliges Gefühl hüllt uns ein. In der Ferne ist eine Nachtigall zu hören, ein Hase hoppelt über den Schotterweg. An den nächsten Morgen wollen wir noch gar nicht denken.

Morgenplausch an der Elbe

Guten Morgen von der Elbe! Wir wissen nicht, wann wir das letzte mal von so viel Ästhetik umgeben, aufgewacht sind. Die klare Einrichtung mit den schönen ländlichen Vintage-Möbeln und die natürlichen Materialien in unserer Ferienwohnung haben uns ausgezeichnet schlafen lassen. Unsere Zimmer flüstern die Liebe für alte Häuser und deren Geschichte. Wir bewundern die Kraft und Detailliebe, die hier in jeder Ritze stecken. Gepaart mit dem grünen Ausblick auf die Elbtalaue, wähnt man sich im Paradies. So lang wie möglich, wollen wir alles anschauen und aufsaugen. Bloß noch nichts an Aufbrechen denken. Daher ist dieser Morgen auch etwas ruhiger als sonst. Ich beginne mich zu fragen, wie ich die Hektik der Großstadt in meinem Alltag eigentlich aushalte. In der Diele klappert es, Frîa deckt schon den Frühstückstisch für alle Gäste ein.

Wir werden mit Apfelsaft und Honig aus dem Ort und selbstgemachten Marmeladen verwöhnt. Zum Glück setzt sich Frîa noch zu uns und gibt uns interessante Einblicke in ihr Leben als Gastgeberin hier am Elbdeich. Es ist erstaunlich, welche amüsanten Geschichten sie so auf Lager hat - man möchte ihr ewig zuhören. Besonders leidenschaftlich berichtet sie über ein kürzlich veranstaltetes Gartenkonzert der beiden Singer-Songwriter Kal Lavelle aus Irland und Russel Swallow und natürlich von ihren unterhaltsamen Begegnungen mit Gästen, die schonmal als große Radlergruppe auf dem Hof stehen und bewirtet werden wollen. Und so ist es auch kein Wunder, dass aus unserer geplanten Abfahrtszeit gegen 9:30 Uhr nichts wird und wir erst kurz vor Mittag mit reichlich Abschiedsschwere vom Hof rollen. Danke liebste Frîa, für die wunderbare Zeit bei Dir.

Brückenschlag zwischen Ost und West

Der neue Tag begrüßt uns mit einer starken Brise. Der hier oft herrschende Nord-West Wind wird heute unsere Waden brennen lassen. Eine sportliche 4-Länder-Etappe von 80 Kilometern liegt vor uns. Wir machen uns auf den Weg Richtung Dömitz in Mecklenburg-Vorpommern. Dort wollen wir die Elbe überqueren, das Wendland durchfahren und am Abend an der Grenze in Sachsen-Anhalt direkt am Grünen Band übernachten.

Zunächst geht es aber weiter an der Elbe entlang, vorbei an wunderschönen Fachwerkhäusern, an deren Giebeln Bibelsprüche, Liedverse und Segensworte eingraviert sind. Auch die vielen Gärten lenken den Blick immer wieder ins Landesinnere. In Dömitz angekommen, nehmen wir zielstrebig die Elbbrücke ins Visier. Auf der anderen Elbseite entdecken wir die Reste einer alten Eisenbahnbrücke, die im zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Das heute von der ehemals 896 Meter langen Brücke noch die Vorlandpfeiler sichtbar sind, ist dem Denkmalschutz zu verdanken. Sämtliche Reste der Brücke am Ostufer wurden von der DDR in den 80er Jahren abgerissen.

Auf dem Deich treffen wir auf Miriam, die gerade einen Aufsteller mit einem Programmplakat in der Hand hat. “Theater am Fluss” steht darauf. Neugierig wie wir sind, sprechen wir sie an. Miriam lacht und zeigt runter ans Elbufer, an dem gerade ein zur Wanderbühne umgebauter Katamaran Anker setzt. Miriam ist Teil der gemeinnützigen Theatergenossenschaft „Traumschüff“, die sich in ihren Theaterstücken mit den Blickwinkeln ländlicher Regionen befasst und sich als Ort der Begegnung und des Austausches versteht. Jedes Jahr im Sommer tourt das Bühnenschiff auf den Wasserwegen zwischen Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg umher. Der Katamaran wird dabei zur Bühne, während das Publikum vom Ufer aus zusieht. Leider müssen wir Miriams Einladung für diesen Abend ablehnen, aber wir machen zur Erinnerung ein Foto, um dieses tolle Theaterprojekt im Kopf zu behalten.

Kurz darauf überqueren wir auf der Eisenbahnbrücke die Elbe. Sie wurde 1934-36 gebaut und ebenso wie die Eisenbahnbrücke im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nach dem Mauerfall wurde sie wieder errichtet und 1992 feierlich eingeweiht. Die auf einem Abschnitt von 140 Flusskilometern einzige Straßenbrücke ist heute mit 960 Metern auch die längste Straßenbrücke Deutschlands. Möglicherweise sogar die meistbefahrene Radwanderbrücke, denn auch der Elberadweg führt über dieses schöne Symbol der Wiedervereinigung. Den Brückenschlag “nach drüben” schaffen wir heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, mit spielerischer Leichtigkeit.

Niedersachsens “Wilder Osten”

Wir haben nun Niedersachsens “Wilden Osten”, wie das Wendland auch genannt wird, erreicht. Als ehemalige Grenzregion war das Wendland im Norden, Osten und Süden vom “Eisernen Vorhang” umgeben und ist heute in jeder Hinsieht absolut einzigartig. Nicht nur, das die Region nahezu autobahnfrei ist, sie ist auch Vorreiter in Punkto Bioenergie, Ökolandbau und weist die höchste Künstlerdichte im ländlichen Deutschland auf. Besondere Bekanntheit erlange es als Spitzenreiter im Langzeitprotestieren. An fast allen Häusern sind gelbe Kreuze zu sehen. Sie sind das starke Zeichen der Atomkraftgegner und einer erfolgreichen Geschichte der langen aktiven Protestbewegung rund um Gorleben. Auch die Baukultur in dieser außergewöhnlichen Region ist besonders sehenswert. Viele liebevoll restaurierte, niedersächsischer Ständerhäuser sind vor allem in sogenannten Rundlingsdörfern zu finden. Bei mehr als 100 Dörfern der Region ist diese mittelalterliche Siedlungsform, bei der mehrere Bauernhöfe kreisförmig um den gemeinsamen Dorfplatz gebaut wurden, noch erhalten oder zumindest gut erkennbar. Auch wenn das Wendland zum, nach Einwohnern gezählt, kleinsten Landkreis Deutschlands zählt, zieht es aufgrund der großen Vielfalt an Landschaften und Naturschätzen und dem ruhigen Leben in den kleinen beschaulichen Dörfchen, immer wieder viele Menschen an. Alle Lebenshaltungen scheinen hier ihren Platz zu finden, man spürt die Energie einer besonderen Gemeinschaft.

Auf dem Weg nach Dannenberg radeln wir über vielen kleine, wenig befahrene Straßen, vorbei an endlosen lila bühenden Phaceliafeldern, die Bienen glücklich machen. Hier scheint jede Wiese wie eine Leinwand, die landwirtschaftliche Vielfalt die hier vorherrscht sieht man anderswo leider noch viel zu selten. An jedem Zaun mahnen die gelben Kreuze und demonstrieren beeindruckend die Haltung ihrer Bewohner. Wir nehmen eilig Kurs auf die zweitgrößte Stadt des Wendlandes, Dannenberg. Ein weiteres bezauberndes Fachwerkstädtchen mit spannender Geschichte. Den Stadtkern zieren gut erhaltene und liebevoll restaurierte Gebäude – hier wollen wir bleiben. Wir pausieren am Markt und kaufen fürs Abendessen ein, da es in unserem Übernachtungsort keine Gelegenheit für Einkäufe oder abendliches Einkehren geben wird.

Rüber nach Sachsen-Anhalt

Unser Etappenziel Dahrendorf liegt ein bisschen am Ende der Welt. Je näher wir diesem kommen, desto weniger treffen wir auf Autos und Menschen. »Wenn Sie mal niemanden mehr sehen wollen«, so warb die Altmark vor ein paar Jahren um Besucher. Hier ist also nicht viel, würden wir als Städter sagen. Die Region, im äußersten Nordwesten der Altmark gelegen, gehört wie auch das Wendland zu den am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands. Dahrendorf lag fast 40 Jahre im Sperrgebiet. Ausgeschilderte Grenzerfahrungspunkte machen Besucher auf die Besonderheiten am Wegesrand aufmerksam: einzigartige Lebensräume für seltene Pflanzen und Tiere, Relikte der deutschen Teilung wie Grenztürme und geschleifte Dörfer. Der zweitlängste Teil des Grünen Bandes befindet sich hier. Hier steht es bereits unter besonderem Schutz und wurde im Oktober 2019 zum nationalen Naturmonument erklärt. Ein großer Findling samt Gedenktafel am Wegesrand und ein alter Grenzturm, dessen oberer Teil am Horizont eines Getreidefeldes hervorlugt, signalisiert uns das Überschreiten der Landesgrenze.

Dahrendorf hat großes Glück, dass es heute noch steht. Andere Dörfer die sich in Grenznähe befanden wurden ausgelöscht, viele Menschen verloren ihr Zuhause. Unsere Ferienwohnung liegt auf einem Hof am Ortsrand des kleinen 86-Seelen-Dorfes. Ob wir mehr über diesen Ort bei der Kunsthistorikerin Amanda Hasenfusz, erfahren werden? Sie ist nicht nur unsere Gastgeberin für diesen Abend sondern auch Pressesprecherin für das Grüne Band beim BUND. Hier setzt sie sich leidenschaftlich dafür ein, die Entwicklung des Grünen Bandes weiter voranzubringen. Mit der “Herberge am kleinen Weinberg Dahrendorf” hat sie sich mit ihrem Mann einen Traum erfüllt. Zusammen sanierten sie liebevoll ein alte Bauernhaus, richteten gemütliche Ferienwohnungen für Radfahrer und Wanderer ein und legten sogar einen kleinen Weinberg an. Das der Ort West und Ost vereint, leben die beiden selbst vor. Amanda kommt aus dem Osten, ihr Mann aus dem Westen. Wie sehr Amanda ihre Region liebt, wird nicht nur beim Anblick ihres Anwesens deutlich. Von geführten Wanderungen entlang des Grünen Bandes, dem Beginn eines länderübergreifendes Blühwiesenprojektes bis hin zur Organisation eines kleinen Kunstfestivals nach dem Vorbild der beliebten “Kulturellen Landpartie” im benachbarten Wendland, reicht Ihr Engagenemt. „Die Altmark ist schön und lebenswert“, sagt sie aus tiefster Überzeugung. Leider zieht man hier nicht immer gemeinsam an einem Strang. Viele alteingesessene Altmärker, auch in Dahrendorf, bleiben neuen Ideen gegenüber oft noch verschlossen. Die bekannte “alles soll so bleiben wie es ist”- Mentalität kann zermürben und bremst den dringend benötigten Zuzug oder die Rückkehr von Menschen in die alte Heimat.. Ein kontroverses Thema, welches noch für viele Stunden Gesprächsstoff bieten könnte.

Kurz beneiden wir Gäste die länger hier bleiben können, um mit Amanda und Thorsten die vielen spannenden Stellen rund um Dahrendorf und dem hier vorherrschenden Dreiklang aus Natur, Geschichte und Kultur kennenzulernen. Doch irgendwann müssen wir uns verabschieden. Der Tag hat uns kräftemäßig ausgelaugt und die Tagesetappe uns völlig erschöpft. Jetzt freuen wir uns auf unsere Ferienwohnung, in der wir herrlich kochen und mit einem Buch aus der Hausbibliothek, die Füße hochlegen können. Solange es hell ist, huscht unser Blick immer wieder aus dem Fenster in die Weite zum alten Grenzturm und auf das Grüne Band.

In the middle of nüscht

Nach einem grandiosen und liebevoll angerichteten Frühstück verlassen wir das schöne Zuhause von Amanda gut gestärkt und machten uns auf den Weg nach Salzwedel– nochmal vielen Dank für die herzliche Gastfreundschaft! Die Strecke nach Salzwedel kürzen wir etwas mit dem Zug ab. Wir wollen nicht wieder unter Stress geraten wie am Tag zuvor. Zum Glück kommt der Wind heute von hinten und gibt uns einen wohltuenden Schubser.

Salzwedel war im Mittelalter bis 1518 eine Hansestadt. Ihr Name weist darauf hin, dass Salz über eine Furt („Saltwidele“) befördert wurde. Die mittelalterliche Altstadt ist weitestgehend erhalten geblieben. Gotische Backsteinkirchen, wie St. Marien und St. Katharinen, Reste von Befestigungsanlagen, zwei Stadttore, das ehemalige Rathaus der Alten Stadt, Speicherhäuser und um die 500 Fachwerkgebäude aus späteren Jahrhunderten prägen den 25.000-Einwohner-Ort. Heute ist natürlich nicht mehr das Salz die Handelsware, sondern zuckersüßer Baumkuchen. Man ist stolz darauf, den Kuchen noch immer nach der Rezeptur aus dem „Conditorei-Buch“ von 1807 zu backen. Natürlich decken wir uns in der ersten Konditorei mit Baumkuchen ein und blinzeln mit einem Kaffee in die Sonne. Salzwedel gefällt uns – ein richtiges Kleinod. Hier berühren sich die „Deutsche Fachwerkstraße“ sowie die „Straße der Romanik“. Beeindruckend sind die großen Tor- und Wallanlagen sowie die reich ausgestatteten Bürgerhäuser. Leider haben viele der Häuser die besten Tage hinter sich. Bereits in den ersten 15 Jahren nach der Wende verlor die Region 13 Prozent ihrer Bevölkerung, vor allem die jungen Menschen wanderten ab und suchten ihre Zukunft in den Großstädten. So idyllisch die Altmark auf den ersten Blick scheint, die Probleme bleiben uns nicht verborgen. Während “drüben” im Wendland Cafés, Hofläden und Internetempfang locken, finden wir hier zwar wunderschöne Natur und Weite, aber auch viel Leerstand und Verfall. Im bundesweiten Ranking befindet sich die Altmark auf den hinteren Plätzen. Die fehlende Infrastruktur bremst gute Ideen und Initiativen von Kommunen. Gleichzeitig leben hier aber auch immer weniger Menschen. Das Interesse der Politik an der Situation etwas zu ändern, vermisst man hier schmerzlich. Wie soll es hier weitergehen? Die Problematik hier in der Altmark könnte einen weiteren ganzen Beitrag füllen. :(

Unsere Reise nähert sich dem Ende. Wir erreichen das gemütliche Städtchen Arendsee und folgen jetzt dem Altmark-Rundkurs zum Ufer des Sees, der groß und tief wirkt wie ein Binnenmeer. Kaum noch vorstellbar, aber das Nordufer war zu Zeiten der DDR nicht zugänglich. In Gerdi´s Eiscafé gönnen wir uns eine Pause - ein kleiner Geheimtipp mit köstlichem Milchreis und einer unglaublich liebevoll dekorierten Eisvitrine. Kurz vor Ziemendorf führt unser Weg dann plötzlich mitten durch eine riesige „Kiefernplantage“. Wo wir Diversität erwarten, empfängt uns eine triste Monokultur. Die Herausforderungen für den Naturschutz in dieser weitgehend intensiv genutzten Agrarlandschaften sind offensichtlich. Nur direkt am Grünen Band, welches noch etwas nordöstlicher liegt, ändert sich wieder das Bild. Leider müsse wir hier die Grenzlinie verlassen und biegen Richtung Wittenberge ab, um wieder Anschluss an den Regionalexpress zu bekommen. Die Zeit ist zu knapp und die Gesamtstrecke insgesamt etwas zu lang, um an diesem Wochenende intensiver mit der Region in den Austausch zu kommen. Wenn wir das nächste Mal wiederkommen, und das werden wir bestimmt, planen wir mehr Zeit ein.

Nur was man weiß, sieht man auch

Fazit: Es fällt schwer zu glauben, dass hier im Grenzland mal etwas anderes als friedliche Landschaft gewesen ist. Die Spuren der Teilung, jenseits der Grenzmuseen, sind auf den ersten Blick kaum noch sichtbar und das Unwirkliche der Grenze mittlerweile Vergangenheit. Dennoch mahnt uns vieles immer wieder an das hohe Gut der Freiheit und Menschenwürde und an unsere Geschichte, die niemals vergessen werden darf. Vielleicht inspiriert dieser kleine Tourenbericht dazu, diese einzigartige Erinnerungslandschaft noch etwas besser kennenzulernen. Sich zu dem Thema “Grünes Band” zu belesen, an einer Führung vor Ort teilzunehmen, die vielen Grenzmuseen zu besuchen oder mit den hier lebenden Menschen ins Gespräch zu kommen, kann Eure “Grenzerfahrung” unheimlich bereichern. Denn nur was man weiß, sieht man auch. Mein Tipp: Wer direkt am Grünen Band auf dem ehemaligen Kolonnenweg radeln oder wandern will, sollte unbedingt die Altmark einplanen. Die Region hat mit 132 km einen der längsten Streckenabschnitte des Grünen Bandes vorzuweisen. Neben des Erlebens vor Ort, ist auch unsere aktive Mithilfe wichtiger denn je, damit das Grüne Band einen flächendeckenden Schutzstatus bekommt und Vergangenes für viele Generationen weiterhin erfahrbar macht. Durch Patenschaften oder Spenden könnt Ihr helfen, noch offenen Lücken am Grünen Band zu schließen. Ich freue mich, wenn Ihr jetzt Lust bekommen habt, diese grüne Lebenslinie bald mit dem Rad oder zu Fuß zu erobern. Danke fürs Lesen!

 
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Warst Du auch schon mal am Grünen Band zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs und hast noch weitere Tipps für schöne Radwege?

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Dani Pensold3 Comments