Unterwegs in der Flusslandschaft Elbtalaue

Die Entscheidung einen Ausflug in die Prignitz zu machen, um ein Stück des Elberadweges zu erradeln fiel ganz spontan 24h vor Abfahrt. So richtig hatte ich diesen Radweg nie auf der Karte und schäme mich im nachhinein fast ein wenig dafür. So viele Menschen können eigentlich nicht irren, wenn er bereits zum 8. Mal den Titel "Beliebtester Radweg" trägt. 


FACTS:  Der Elberadweg beginnt in Špindlerův Mlýn im Riesengebirge im Norden Tschechiens und endet nach 1220 Kilometern in Cuxhaven an der Elbemündung in die Nordsee. In Deutschland gibt es immer noch 840km zu erfahren. Die Strecke ist an Superlativen kaum zu überbieten. Die Sandsteinfelsen im Nationalpark Sächsische Schweiz, das historische Dresden, Meissen, Wittenberg, das Wasserstraßenkreuz bei Magdeburg, die Heidelandschaften um Havelberg, die wunderschönen Elbtalauen, die Lüneburger Heide und schließlich die Nordsee.


Die Flußlandschaft Elbtalaue in der Prignitz ist, wie wir erfahren, etwas ganz Besonderes. Die Elbe war hier nicht nur Jahrzehnte lang Grenzfluß zwischen zwei Bundesländern, sondern auch zwischen Ost und West. Die Aue, die sich vor dem Deich befindet, ist Heimat geworden für viele bedrohte Tier-und Pflanzenarten.

Die Stadt der Nähmaschinen

Wittenberge begrüßt uns an diesem schönen Junitag mit einem tollen Sonne-Wolken-Mix. Kaum 1,5h sind vergangen seid wir am Bhf Alexanderplatz in Berlin in den fast leeren Zug gestiegen sind. Hier angekommen, befinden wir uns sofort auf Zeitreise. Wittenberges einstige Pracht lässt sich auf dem Weg zur historischen Ölmühle am Elbufer bereits erahnen. Prächtige Bürgerhausfassaden mit einem Hauch Jugendstil, sowie viele Stadthäuser im Historismus Stil zeugen von einer Zeit voller Wohlstand. Heute ist Wittenberge eine schrumpfende Stadt, deren Lichtblick nur der Tourismus ist. Wir radeln vorbei an jenen Fabriken, die ein Produkt erschufen, für welches Wittenberge besonders bekannt war: Nähmaschinen. Auf dem Fabrikgelände fällt uns der große Singer Uhrenturm auf, den wir auch besichtigen. Der Turm ist einer der größten freistehenden Turmuhren Europas und das Wahrzeichen der Stadt. Er wurde 1928 im Stil des Neuen Bauens erbaut und diente als Wasserturm der Versorgung des Nähmaschinenwerkes. In der sehenswerten Ausstellung erfahren wir Interessantes über die Nähmaschinenproduktion und das Leben und Arbeiten der Menschen im Werk. Ein paar schöne alte Nähmaschinenmodelle gibt es natürlich auch. 

Hinter der Alten Ölmühle beginnt das Paradies

Am Elbufer hinter der historischen Ölmühle fahren wir direkt auf den Deich. Vor uns erstreckt sich ein Gebiet, das zu den am dünnsten besiedelten in ganz Deutschland gehört. Dies war zwar schon immer so, aber die die vielen Hochwasser haben diesen Trend noch verstärkt. Die Elbwiesen stehen in solch einem saftigen Grün, dass wir uns fast die Augen reiben. Der Strom fließt mit uns, immer Richtung Norden. Wir haben ca. 45 km Richtung Mödlich geplant. Eine Karte haben wir nicht, der Deich ist unser Weg. 

Die ersten Störche

Schnell erkennen wir, wer sich hier in der Flußlandschaft Elbtalaue besonders wohlzufühlen scheint: der Weißstorch. Mit knapp 500 Brutpaaren ist die Elbtalaue die storchenreichste Region Deutschlands. Auf den vielen Wiesen und Armen der Elbe findet er genug Nahrung um hier seine Jungen aufzusehen. In jedem Dorf finden wir besetze Storchnester und kleinen flauschigen Storchnachwuchs darin. Die Tiere sind schön und so anmutig. Ich kann nicht anders als fast an jedem Nest stehenzubleiben und zu versuchen ein gutes Bild zu bekommen. 

Lenzen - Mauerfall in Grün

Wir passieren den Bösen Ort und wir verlieren die Elbe für einen Moment aus den Augen. Den Namen bekam der Ort von Binnenschiffern auf der Elbe. Denn hier knickt sie nahezu im rechten Winkel ab. Das Wasser drückt dann frontal auf die Deichflächen. Aufgrund dieser Gefahr schufen die Menschen in rund einem Kilometer Entfernung einen zweiten Damm und damit ein zusätzliche Überflutungsfläche. Nach einem kurvenreichen Verlauf erreichen wir Lenzen mit seinem ehemaligen DDR Wachturm. Heute ist er eine Aussichtsplattform und bietet uns einen spektakulären Blick in die Ferne. Unterhalb des Wachturms legt eine Fähre an. Wir lesen schweigend die Gedenktafel über die Fährverbindung und ihre 500jährige emotionale Geschichte und uns wird klar, dass wir gerade eine einst unüberwindliche Barriere mühelos überwunden haben. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Der Gedanke an die Grenzboote und heute diesen weiten Blick in die Ferne.

Lenzen

Wir machen einen Abstecher weg vom Radweg ins 2km entfernte Lenzen. Die Altstadt wirkt etwas etwas vergessen und ist menschenleer. Nur die Burg mit Ihren Ausstellungen über die Flußlandschaft und der angrenzende Park mit Orangerie und Storchennest wirken wir herausgeputzt. Eine Bahnanbindung hat Lenzen seit den 50er Jahren nicht mehr. Der Wind wird etwas stärker und wir machen uns auf den Weg Richtung Mödlich. Fast 17km sind es noch bis zu unserem Gasthaus. 

Mödlich, kleine Perle hinterm Deich

Hinter Lenzen befinden wir uns bereits im letzten Zipfel Brandenburgs, an der Grenze zu Niedersachsen. Der nordische Flair nimmt mit jedem Fahrradkilometer zu. Die Backsteinhäuser mit Reetdächern häufen sich, wir spüren einen frischen Nordwind. In Mödlich angekommen, sticht uns sofort eine riesige Skulptur am Dorfeingang ins Auge. Die Metallskulptur "Charon" ist das Werk des ortsansässigen Künstlers Bernd Streiter und macht uns bewusst, dass die Elbe lange eine Grenze zwischen Leben und Tod war. 

Charaon entstand als erstes großes freies Kunstwerk. Die Beschäftigung mit dem Thema »Ackermann und Tod« trieb hier einige Blüten über den Rahmen des Textes hinaus. Im Kontext zum Thema Tod entstand diese Vision vom Fährmann in die Unterwelt. Er hat kein Schädelgesicht, er ist nicht erschreckend, aber sehr ernst und würdevoll. Priesterhaft in seiner Erscheinung, nimmt er eher die Angst vor der Überfahrt. Man zweifelt und verzweifelt nicht an ihm. Beinahe gütig nimmt er uns hinfort, den Gesetzen der Ewigkeit unabdingbar folgend. Ich denke, auf seinem Wagen wird alles gut, die Sichel gilt nur dem Leib, nicht uns.

Glücksfund - das Café Elbeglück

Ein paar Meter weiter stoßen wir auf das Café Elbeglück von Fria Hagen. Ein herrlicher Garten, liebevoll mit Gartenmöbeln gestaltet und einem beeindruckendem modernen Café"Bungalow" mit verglaster Küche und Steinofen. Unter einem großen Baum im schützenden Schatten bestellen wir uns die Köstlichkeiten der Karte. Apfelcrumble mit Vanilleeis und saftigen Schokoladenkuchen mit Schlagsahne. Die Lenzerwische als Eldorado für Foodies? Na und ob! Die selbstgemachte Holler-Limonade ist köstlich und erfrischt uns für die letzten Kilometer. Es ist nach 16 Uhr und so langsam sehnen wir uns nach einer Dusche und einem Bett. An der hübschen kleinen Backsteinkirche mit ihrem hölzernen Westturm können wir aber doch nicht schnell vorbeifahren. Besonders sehenswert sind die jahrhundertealten Särge des Amtmanns Admiral Gijsels van Lier (1593 -  1676) und seiner Tochter Clara von Merretich.

Alter Hof am Elbdeich

Gegen 17 uhr erreichen wir den Alten Hof am Elbdeich. Fast 50km von Wittenberge entfernt. Unsere Ferienwohnung mit angrenzendem Garten bietet viel Platz und die heiße Dusche tut gut. Bevor wir unsere knurrenden Mägen stillen, machen wir einen kleinen Abendspaziergang an den Elbstrand. Wir klettern über kleine Zäune, denn einen direkten Zugang gibt es nicht. Das Wasser ist so ruhig das man nur unter genauerem Hinsehen den Strom erkennt. Wir versuchen Steine übers Wasser fliegen zu lassen, aber finden keine gut geformten dafür. Stattdessen fallen uns andere zerfressene Steinformationen auf. Die haben schon fast etwas kunstvolles. Die Ruhe die an diesem Ort herrscht ist in Worten kaum zu beschreiben. Der Mensch ist hier ganz klein, man spürt die Kraft der Natur. Es ist die perfekte Idylle. Das Abendessen wartet. Die Küche ist regional mit etwas Raffinesse. Es schmeckt herrlich und wir lehnen uns zurück und schließen die Augen. Die Beine krabbeln ein wenig, aber das fühlt sich nach diesem wunderschönen Tag auch richtig an. 

Wir kuscheln uns in das große Bauernbett. Gegenüber unseres Nachtlagers grasen zwei Schäfchen. Man hört den Kuckuck, sonst nichts. 


Am Morgen schleiche ich mich um 5:30 Uhr aus dem Zimmer. Sonnenaufgänge sind für mich immer etwas magisches. Dieser ganz junger Tag, an dem noch alles schläft, ist meine liebste Zeit des Tages. Ich mache einen langen Spaziergang auf dem Deich Richtung Dömitz. Ich sehe zwei kleine Rehe durch die Aue springen, einen Feldhasen seine Haken schlagen und ein Kätzchen mit weißen Pfoten, das mitten auf der Wiese zwischen zwei Kälbchen sitzt. 

Ich fasse in diesem Moment einen Entschluss. Ihr könnt es Euch vielleicht denken. 

Elberadweg, ich komme!

Für noch mehr Fernweh: